Let’s talk about „Schubladendenken“

„Das bedeutet nicht, dass keine typischen Mann-Frau-Liebesgeschichten mehr geschrieben werden sollten. Das bedeutet nur, dass wir Autor:innen beim Schreiben vielleicht ein paar Minuten aufbringen können, um die Charaktere in unseren Büchern ein bisschen aus den typischen Schubladen herauszuschreiben.“

Let’s talk about „Schubladendenken“



„Das bedeutet nicht, dass keine typischen Mann-Frau-Liebesgeschichten mehr geschrieben werden sollten. Das bedeutet nur, dass wir Autor:innen beim Schreiben vielleicht ein paar Minuten aufbringen können, um die Charaktere in unseren Büchern ein bisschen aus den typischen Schubladen herauszuschreiben.“

Viele Leute fragen sich wahrscheinlich jetzt schon bei der Überschrift, was dieses Thema auf dieser Plattform zu suchen hat. Ich sehe das so: Wir als Autor:innen haben eine gewisse Macht, der sich viele gar nicht bewusst sind. Diese Macht haben auch andere Leute in der Medienwelt. Mit unserem Weltbild beeinflussen wir Menschen. Wir gaukeln ihnen eine Wirklichkeit vor, die nicht selten unreflektiert übernommen wird. Das fällt vor allem bei Kinderbüchern auf. Wenn alle „Mädchenbücher“ pink sind und die Mädchen auf Pferde, Einhörner und Nägel-Lackieren stehen, dann sehen die Leserinnen dieses Mädchenbild als normal an. Sie haben das Gefühl, sie müssen mithalten. GENDER ist hier der Begriff, der zwangsläufig fallen muss. Und auch wenn das einigen Menschen schon aus den Ohren heraushängt, sollte man sich trotzdem damit beschäftigen. Nenn es meinetwegen auch erst einmal nicht GENDERN – das ist ein großes Wort. Nenn es GLEICHBERECHTIGUNG oder ANTI-SCHUBLADENDENKEN. Nenn es, wie du willst, aber beschäftige dich damit und mach dir zur Aufgabe, in deinen Büchern immer ein bisschen Diversität zu vermitteln. Das braucht unsere Welt nämlich!

Das bedeutet nicht, dass keine typischen Mann-Frau-Liebesgeschichten mehr geschrieben werden sollten. Das bedeutet nur, dass wir Autor:innen beim Schreiben vielleicht ein paar Minuten aufbringen können, um die Charaktere in unseren Büchern ein bisschen aus den typischen Schubladen herauszuschreiben. Kann die Protagonistin vielleicht mal kurze Haare haben oder der Mann Erzieher sein? Es gibt so viele Kleinigkeiten und somit Botschaften, die wir in unseren Texten verstecken können.  

Um selbst ein Gespür dafür zu bekommen, in was für strikten Schubladen wir uns heute immer noch befinden, müsst ihr nur ein bisschen in euren eigenen Erinnerungen kramen. Ich habe das getan…

Ich finde es erschreckend, wie alltäglich Frauendiskriminierung heute noch ist und dass wir es teilweise gar nicht merken, weil es so normal ist. Ich merke das besonders, wenn ich an die gute alte Schulzeit denke. Früher war ich einfach noch nicht so reflektiert und habe mich noch nicht mit dem Thema beschäftigt. Ich habe mich zwar schon immer auf meine Art für Gleichberechtigung eingesetzt, aber tatsächlich oft auf eine sehr falsche Art.

Hier ein paar Situationen, die mir eins zu eins so passiert sind:

Mädchen versteckt sich hinter einem Buch und steht in einem runden Portal

In der Mittelstufe habe ich angefangen, mich für Naturwissenschaften zu interessieren. Physik, Chemie und Mathe waren meine stärksten Fächer. Also habe ich mich damals für einen Wahlpflichtkurs angemeldet – Informatik und Physik.
Der Kurs hat ziemlich viel Spaß gemacht, uns herausgefordert und mich, als eine der wenigen Mädchen, natürlich sehr stolz gemacht. Doch dann kam es zu folgender Situation: Eine Klassenarbeit in Physik stand an. Wir bekamen Übungsaufgaben zur Vorbereitung. Ziemlich schnell hatte ich die leichten Aufgaben abgehakt und war zu den schweren übergegangen. Für eine Aufgabe brauchte ich einen Wert (wen es genau interessiert: die Dichte von Sand). Ich ging also zu meinem Lehrer und fragte danach. Er sagte folgenden Satz: „Nein, den gebe ich dir nicht. Halte dich mal lieber an die leichten Aufgaben. Wenn du die perfekt kannst, hast du zumindest schonmal eine 4 und bestehst.“

Keine Ahnung, warum ich damals mit den Jungen aus meinem Kurs mitgelacht habe, die das unglaublich witzig fanden. Verdammt nochmal, das war kein bisschen witzig! Das war Diskriminierung der allerschlimmsten Sorte. Ich war oder bin schließlich nur ein kleines blondes Mädchen mit strahlend blauen Augen. Wenn man mich ansieht, denken alle „süß“. „Intelligent“ oder „tough“ denkt aber keiner. Ich habe dem Lehrer übrigens eine 1+ aufs Pult gepfeffert und ab diesem Zeitpunkt war er mein allergrößter Fan. Bis zu meinem Abschluss hat er immer wieder behauptet, er sei der Grund dafür gewesen, dass ich ins Physikprofil gegangen bin. Vielleicht stimmt es sogar, aber nur, weil ich es jetzt der ganzen Welt beweisen wollte.

Es gibt eine Studie darüber, dass Mädchen in der Schule Angst haben, ihre Intelligenz zu zeigen, weil ihnen dann ihre Weiblichkeit abgesprochen wird. Dieser erschreckende Fakt hat mich dazu bewegt, das hier zu schreiben und beispielsweise auch meine Bachelorarbeit diesem Thema zu widmen. Einfach nur schlimm und wie ihr an meinem folgenden Beispiel seht: absolute Realität.
Denn als ich ins Physikprofil kam, habe ich wie eine Verrückte versucht, der ganzen Schule zu beweisen, dass ich trotz Physik und vielleicht einer gewissen Intelligenz, ein Mädchen sein kann. Ihr glaubt nicht, wie lächerlich ich mir vorkomme, wenn ich es heute erzähle. In meinen ersten zwei Wochen in der neuen Klasse habe ich NUR Kleider und Röcke getragen – und Leute, ich trage so gut wie NIE Kleider und Röcke. Aber ich wollte als Mädchen angesehen werden, wollte meine Weiblichkeit nicht verlieren, im Physikprofil herausstechen. Es ist mir gelungen, aber heute weiß ich, dass meine anfänglichen Bemühungen absolut der falsche Weg waren!

Um zu zeigen, dass sowas nicht nur in der „schrecklichen“ Schule passiert, hier nochmal zwei Beispiele aus dem Alltag:

Irgendwann während meiner Studentenzeit war ich bei der Einweihungsparty eines Bekannten. Es wurde spät und ich wurde müde. Also fragte ich ihn, ob ich mir einen Kaffee machen dürfte. Er sah mir dabei zu, wie ich den Kaffeefilter befüllte. Zum Schluss gab ich noch einen Löffel extra dazu und sagte: „Lieber ein bisschen zu stark, als wenn es nur nach Wasser schmeckt.“
Ich wünschte, ich könnte euch in diesem Moment sein Gesicht zeigen. Stellt euch einen herablassenden, irritierten und fast ein bisschen angeekelten Blick vor und hört seine entzückenden Worte: „Du bist auch keine richtige Frau!“ … Das lasse ich jetzt einfach mal unkommentiert so stehen!

Andere Situation: Ich sitze mit einem Kumpel im Restaurant. Da ich viele Unverträglichkeiten habe und daher kaum Zucker zu mir nehmen kann, bestelle ich ein alkoholfreies Bier. (Alleine an der Tatsache, dass ich hier eine Erklärung abgebe, ein Bier bestellt zu haben, sieht man schon die verkehrte Welt). Er bestellt eine Apfelschorle.
Ratet mal, was die Kellnerin, ohne zu fragen, vor mir und was sie vor ihm abgestellt hat?

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal ganz klar betonen, dass es mir nicht nur darum geht, dass Frauen keine Gleichberechtigung erfahren – es geht mir um das allgemeine Schubladendenken. Denn wie man an der Restaurantsituation sieht, „dürfen“ auch Männer so vieles in unserer Gesellschaft nicht, weil sie sonst nicht mehr als „männlich“ angesehen werden. Verdammt noch mal, lasst ihn doch seine Apfelschorle trinken!

Lasst uns daran mitarbeiten, die Schubladen nach und nach aufzulösen. Ich bin so gespannt, was ihr für Stories auf Lager habt. Ich hoffe, es kommen auch ein paar Geschichten von Männern. Schon einmal komisch angeguckt worden, weil du, wie mein Kumpel, eine Apfelschorle bestellt hast, gerne tanzt oder Liebesfilme guckst?

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„Das bedeutet nicht, dass keine typischen Mann-Frau-Liebesgeschichten mehr geschrieben werden sollten. Das bedeutet nur, dass wir Autor:innen beim Schreiben vielleicht...
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